Bei mir ging es um einen Mercedes Benz 1419F, Baujahr 1980, H-Kennzeichen, ohne Allrad und auf serienmäßiger Bereifung der Größe 11R22,5 auf 10 Loch Felgen. Dieses Fahrzeug hat ein Getriebe mit 2x4 Gängen und erreicht bei Abregeldrehzahl 2.680 U/min ziemlich genau 88km/h. Da dieses Fahrzeug in der Stadt eingesetzt wurde, gab es scheinbar keine Anforderung dauerhaft höhere Geschwindigkeiten zu fahren, dafür kann man beim anfahren im Gegenzug (Fahrzeug ist jetzt leer und wiegt unter 7,5to, statt vorher beladen 14to) die unteren 2-3 Gänge ruhig vergessen. Um jedoch längere Strecken zu fahren ist diese Variante weder besonders komfortabel, besonders leise noch besonders verbrauchsoptimiert. Also habe ich mich Ende letzten Jahres damit beschäftigt was man machen kann. Nach etwa 1.000km von Frankreich nach Hause war mir klar so kann das auf Dauer nicht weitergehen….
Möglichkeit 1 – Ändern der Reifengröße
Unter günstigen Umständen passen in die Radhäuser etwas größere Reifen, diese verbessern die Endgeschwindigkeit jedoch gerade mal um etwa 10% und haben zu Folge das es möglicherweise wieder eine längere Diskussion beim TÜV gibt wegen des H-Kennzeichens. Ebenfalls störend ist vielleicht die Neuanschaffung von Felgen und Reifen, selbst bei Standardformaten liegt der Kaufpreis bei deutlich über 1.000,-€ für die komplette Bereifung.
Möglichkeit 2 – Änderung des Getriebes / Verteilergetriebes (bei 4x4)
Wie hier schon mehrfach praktiziert gibt es gerade bei MB ein wundervolles Programm welches sich jeder Mensch für ca. 15,-€ pro Jahr online kaufen kann. Mittels dieses Programms namens EPC kann man mit der Fahrgestellnummer sämtliche eingesetzten Bauteile des eigenen Fahrzeugs finden und bestellen, ebenso lassen sich so Alternativen finden die eventuell auch verbaut werden können. Nach langwieriger Suche ist diese Möglichkeit jedoch entfallen, da es entsprechende Getriebe weder gab, noch der Tausch preiswert gewesen wäre.
Möglichkeit 3 – Tausch der kompletten Achse (Dank 2x4 nur die HA)
Laut EPC besitzt mein Fahrzeug eine Hinterachse HL4/01-10, diese ist hydraulisch gebremst, blattgefedert und besitzt eine serienmäßige Übersetzung von 41:7 (also die Antriebswelle vom Getriebe dreht sich 41 mal, die Abtriebswelle zur Rad 7 mal, oder aber das entsprechende Kegelrad hat 7 Zähne pro 360° und das entsprechende Tellerrad 41 Zähne pro 360°), sämtliche Suche diese Ache mit einer anderen, längeren Übersetzung zu finden sind nicht erfolgreich gewesen. Zum einen scheint diese Ausführung nicht sonderlich begeht zu sein, zum anderen liegen diese Achsen eben nicht zu hunderten bei der Teileverwertung rum, die Fahrzeuge werde schließlich seltener. Also keine der bekannten Anlaufstellen konnten mir helfen. Einzig eine Achse gab es, die die entsprechenden Daten gehabt hätte, diese war jedoch luftgefedert, hatte aber eine Übersetzung von 38:8. Kostenpunkt bei Selbstabholung in München nach zähen Verhandlungen 1.300,-€ (LKW Lasic hat da eine recht große Auswahl). Auch diese Alternative ist wegen des sehr umfangreichen Umbaus ausgefallen, im Übrigen gab es fast keine Möglichkeit die dann neue umgebaute Achse wieder zu veräußern. Im Gegenzug habe ich aber von denen erfahren das es die entsprechenden Radsätze, also die Bauteile die im Differential ausgetauscht werden müssen, als preiswertes Ersatzteil gibt. Anfrage bei MB hat einen Preis von etwa 1.700,-€ erbracht. Laut Lasic gibt es aber einen Händler der mit Teilen von euroricambi handelt, das war zeitweise der damalige Erstausrüster. (siehe lieferbare Bauteile, auch für Iveco und Co….
http://www.euroricambi.com/images/cataloghi/GL.pdf)
Also habe ich es dort versucht….
Möglichkeit 4 – Tausch des Radsatzes im Differential (Dank 2x4 nur an der HA)
Anruf bei LKW-Lambert Herr Riehl, Nennung der Fahrgestellnummer und die Bitte nach der Übersetzung 38:8 brachte folgendes Ergebnis: „Ja der Radsatz ist lieferbar, Kostenpunkt 432,-€ zzgl Mwst und Transport. Kann ist 8-10 Tagen bei Ihnen sein.“ BESTELLT! Lieferung erfolgt 10 Tage später per Spedition in einer soliden Holzkiste (53kg).
So nun steht zumindest die Hardware. Wie nun weiter? Ist ja ehr eine Umbauaktion die man nicht im Garten machen kann. Wie bereits schon hier beschrieben, handelt es sich um eine ehr komplizierte Aktion zumal es neben erhöhter Genauigkeit eben auch darum geht Gewichte von etwa 70kg aus dem Differential raus und wieder hinein zu bekommen. Zuerst sucht man sich aus diesem Grund mal einen entsprechenden Auszug aus dem Werkstatthandbuch. Stellt nach dem Lesen der 38 (!!!) Seiten fest das man dazu etwa 20-30 Spezialwerkzeuge benötigt und fragt mal freundlich bei einer MB Werkstatt an, die antworten ebenso freundlich das der Umbau bei etwa 1.500,- bis 1.800,-€ liegen würde.
Neuer Versuch, andere Werkstätten sind zwar preiswerter, haben aber zumeist das Problem das diese Arbeit ehr nicht zum normalen Tagesgeschäft gehört. Danke für die angebotene Hilfe, aber da hatte ich wohl einfach selber zu viel Respekt vor der Aufgabe! Also ergab sich der Kontakt zu einem Forumsmitglied (Allradler-Nico, hier im Forum) der mir seine Werkstatt und seine Hilfe angeboten hat. Ich habe mir dann mal 3 Tage Urlaub genommen und bin mit dem neuen Radsatz aufgebrochen….
1.Tag
Anreise mit 88km/h bei Abregeldrehzahl
Aufnahme des Istzustandes, nach etwa 30 Minuten in der Werkstatt steht fest, die Kurbelwellendichtung ist undicht, die Fußdichtung des Kompressors leckt, ansonsten finden wir keine weiteren Punkte, Ersatzteile werden bestellt und ich baue in der Werkstatt die entsprechenden Teile schon einmal auseinander (Steckachsen ziehen, Kardanwelle lösen und sichern, Flüssigkeiten raus, Dichtungen entfernen, Teile ausbauen, reinigen, reinigen, reinigen….)
Dabei wird ebenfalls das Differential zerlegt um den alte Radsatz aus Kegelrad und Tellerrad auszubauen. Leider entspricht die Werkstattanweisung dabei nicht ganz der Realität, der Radsatz lässt sich eben nicht rausschwenken wie 1980 ursprünglich gedacht. Stattdessen muss das Tellerrad vom Differential komplett demontiert werden um dann alles zusammen auszubauen. Aber das finden wir erst am nächsten Tag raus….
2. Tag
…entgegen meinem Wunsch liegt das alte Differential noch nicht neben dem LKW, wir finden raus das es doch zerlegt werden muss um es auszubauen, danach dauert es noch 20 Minuten und alles liegt zerlegt vor mir. Ohne Hydraulikpresse und Co wird es schwierig die Lager vom Kegelrad zu entfernen. Das ist aber alles vorhanden und kann von mir genutzt werden. Ebenfalls eine Herausforderung ist die Mutter die das Kegelrad befestigt, hier ist ein Anzugsmoment von 1.200Nm vorgegeben, das bringt man ehr schlecht auf, ohne entsprechendes Werkzeug… Aber alles zerlegt. Dann erneute Bestellung der Teile die man besser austauschen sollte wenn man schon alles zerlegt hat (obwohl das Auto war ja gerade 60Tkm gelaufen). Zwischenzeitlich die Kurbelwellendichtung ersetzt und die Fußdichtung am Kompressor erneuert (wegen langer Lieferzeit haben wir da mal auf Dichtpappe zurückgegriffen…) Anschließend dann noch das neue Kegelrad bei -32°C eingefroren um die Neuteile morgen besser montieren zu können.
3. Tag
Alle Neuteile und wiederverwendeten Teile werden erneut an die neuen Komponenten montiert, es zeigt sich das die -32°C Lagerung des Kegelrades sehr, sehr hilfreich war. Anschließend das Tellerrad wieder eingebaut und das Kegelrad inkl. aller Lager erneut montiert. Zuvor das sogenannte Lagerspiel der Welle vom Tellerrad eingestellt (Sonderwerkzeug ersetzt mangelnden Sachverstand…) und erster Testlauf. Hierbei geht es im wesentlich darum das der Kontakt der beiden Zahnräder, die ja unter 90° verbaut sind so eingestellt wird das sich die Zahnflanke mittig auf dem Tellerrad abzeichnet. Sollte das nicht passen, so wie bei mir, Kegelrad raus, entsprechende Distanzringe austauschen, wieder reinbauen, erneuter Versuch. Gleiches Spiel gibt es ebenfalls im Bereich Tellerrad auch hier kann man das Tellerrad mittels Einstellschrauben nach links oder rechts justieren. Jedes Mal danach das Tragbild überprüfen und entsprechend nachjustieren, umfassende Beschreibungen gibt der Radsatzhersteller ja mit…

Ein etwas längeres Spiel…. Irgendwann jedoch schaut es dann vielleicht so aus…
Jetzt schnell ein Bier aufmachen und den ersten Erfolg feiern….
Anschließend noch alle Schrauben mit den notwendigen Drehmomenten anziehen, sichern, Dichtungen neu, Flüssigkeiten auffüllen (schlappe 12,5l Getriebeöl gehen dann ins Differnetial) und auf zur ersten 30 minütigen Probefahrt. Herzklopfen aber alles läuft sehr gut. Ausgedehnte Probefahrten zeigen später gleiches Bild, nach etwa zwei Stunden Autobahn ist das Differential handwarm, scheint also erstmal alles bestens.
Ergebnis:
Durch den Umbau sinkt die Drehzahl um rechnerisch 24%, oder aber im Gegenzug steigt die Endgeschwindigkeit entsprechend auf etwa 110km/h. Dadurch ändern sich ebenfalls die entsprechenden Schaltpunkte, was angesichts der ungenutzten unteren Gänge sogar sehr positiv ist. Entsprechend ändert sich ebenfalls die Lautstärke sowie der Verbrauch (hat um etwa 15% abgenommen nach ersten Tests).
Wenn man mal alles zusammen nimmt hat es inkl. sämtlicher Teile, Werkstattunterstützung und Betriebsstoffe ca. 1.000,-€ gekostet (nur der Tausch des Radsatzes). Ob sich sowas lohnt muss jeder selber mit sich ausmachen, ich jedoch kann anmerken das diese Arbeiten tatsächlich ohne Werkstattunterstützung und entsprechendes Werkzeug wirklich nicht zu schaffen sind. Die gemachten Erfahrungen sind dabei sicherlich von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich, ebenso sind alle anderen Möglichkeiten wie „Schramm“ etc. nicht berücksichtig worden aber als Einstieg hilft es vielleicht dem ein oder anderen weiter. Wenn ich helfen kann und wenn sich jemand ernsthaft damit beschäftigen sollte sein Auto langsamer zu machen, ich habe da tatsächlich noch einen super erhaltenen Radsatz im Keller....
Danke an alle die mir durch Hinweise, Unterstützung oder ähnliches geholfen haben!
Sugar