Hallo Urologe,
nein, die Hinterachssperre ist viel wichtiger als die Vorderachssperre. Weil in der Steigung liegt auch bei uns das Gewicht hinten. Außerdem ist ein Auto mit eingelegter VA-Sperre nur noch bedingt manövrierbar.
Sperren allgemein werden hier aber gerne etwas vereinfacht betrachtet; es ist aber komplizierter, als Radlast mal Anzahl gesperrter Räder. Auch das Fahrwerk und der Dynamik bei Bodenunebenheiten spielt eine große Rolle:
- Ein perfekt weiches Fahrwerk auf perfekt gleichmäßigem Untergrund gibt jeder Unebenheit nach und es liegt auf jedem Rad das zur Antriebskraft passende Gewicht. Wenn, dann drehen alle Räder gleichzeitig durch und Sperren sind bei einem solchen Fahrwerk vollkommen überflüssig. Ein Deutz mit Permanentallrad und einer Achslastverteilung von 40%:60% passend zur üblichen Kraftverteilung kommt in normalem Gelände erstaunlich weit, ohne dass irgend etwas gesperrt werden müsste. Mit Sperren würde nicht deutlich weiter kommen.
- Nun fährt dieses perfekte Fahrzeug mit einem Vorderrad über einen kleinen Hügel. Das Rad springt etwas in die Luft. Während es in der Luft ist, hat es keinen guten Kontakt zu Boden mehr und kann die Antriebskraft nicht mehr an den Boden übertragen, es beginnt durchzudrehen. Klar, alles was abhebt muss auch wieder herunter kommen. Tut das Rad auch, aber Gleitreibung ist immer schwächer als Haftreibung. Ein Rad, das ein mal durchgedreht hat, kommt nur zum Stehen, wenn man die Antriebskraft stark zurück nimmt. Der LKW beginn zu springen, die Belastung des Antriebsstrangs steigt gegen unendlich und nur wenn man schnell und mit viel Gefühl vom Gas geht, kann man die Fuhre vielleicht noch wieder an den Boden bringen.
- Und jetzt kommt die Sperre: Dieses perfekte Fahrzeug stößt wieder vor eine Kante, das Rad hebt ab und möchte wieder durchdrehen. Geht aber nicht: Die Achse ist gesperrt, alle Räder sind starr miteinander verbunden und laufen brav gemeinsam weiter. Dabei wird der Antriebsstrang wunderbar geschont, es wird ihm das Geballer der durchdreheden Räder erspart. Mit allen Sperren kann man sich meist sogar in Zeitlupe mit allen drehenden Rädern den Berg hochbuddeln, ohne dass etwas springt oder außer Kontrolle gerät.
Sperren machen einen riesigen Unterschied darin, wie schnell ich ein Hindernis befahren kann und wie ruhig das Fahrwerk dabei bleibt. Es kommt nicht darauf an, immer 100% der Radlast auch angetrieben am Boden zu haben, viel wichtiger ist es, starke Abweichungen auf Grund von Unebenheiten oder Stößen abfangen zu können.
Geradeaus in der Ebene im Schlammloch bringt die vordere Sperre nur den Gewichtsunterschied zwischen rechtem und linken Vorderrad - also überhaupt nichts. Steht der LKW etwas schief, mag die VA-Sperre ein paar Prozent mehr Vortrieb bringen: Maginal, eine gleichmäßige Gewichtsverteilung ist wichtiger.
Aber wenn vor dem Schlammloch auf einer Seite ein Schlagloch ist, oder sich ein Hügel vor der Auffahrt befindet, dann fährt der ungesperrte LKW mit bereits zwei durchdrehenden Rädern in die Steigung, während sich beim gesperrten noch alle vier Räder in den Boden beißen. Dort ist der Unterschied plötzlich wie Tag und Nacht.
Außerdem gibt es aber auch noch Sperren an LKW, die keinen Meter im Gelände mit unebenem Untergrund fahren können, wie z.B. Sattelzugmachinen. Das wird gebaut, weil es passieren kann, dass der Boden zwar eben ist, aber eine sehr unterschiedliche Haftreibung hat. Klassisch: Die Straße ist frei, am Rand ist sie vereist. Nun kommt der Sattel mit einem Rad auf das Eis: Das Rad welches auf dem Asphalt steht hätte zwar genug Haftung, um die Kuh vom Eis zu holen - aber da die andere Seite durchdreht bewegt sich nichts mehr. Wenn der Zug nun eine Sperre hat, kann der Fahrer diese einlegen und die Ware kommt dennoch rechtzeitig an.
Da alle Allradlkw eine Mittelsperre haben, sind solche Situationen kein Problem. Aber neben fast jeder Straße verläuft ein Graben und damit ist das wahrscheinlichste, ungewollte Hindernis eben ein solcher Graben. Steht ein LKW ohne Achssperren in mit zwei Rädern auf einer Seite in einem solchen Graben, ist es vorbei: Die noch auf der Straße stehenden Räder haben keine Last mehr und drehen durch. Mit Achssperren: Vorderräder Hangaufwärts ausrichten, Sperren einlegen, Kupllung langsam kommen lassen und der LKW fährt einfach aus dem Graben (Oder kippt um...

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Für den Reisealltag hat nur die Straßengraben-Situation Relevanz, wenn man nicht explizit eine Offroad-Reise unternimmt. Fast alle LKW-Hersteller bauen keine VA-Sperren ein, und das hat einen Reihe von Gründen, die Leute wissen schon, was sie tun. Vorderachssperren sind und bleiben ein Detail, das in die Kiesgrube oder beim Bergen anderer LKW einen Unterschied machen kann. Aber für die Reise spielt es keine nennenswerte Rolle.
MlG,
Felix
P.S: Hier werden immer Ketten oder Reifenprofil gelobt: Verlasst euch nicht darauf, Scherkräfte in den Boden übertragen zu können. In besonderen Fällen, wie z.B. festem Bewuchs einer Grasnabe, kann ein Reifenprofil oder eine Kette über Scherkräfte dem Boden Vortrieb abluchsen. Ketten können sich auch durch/in festgefahrene Schneedecken beißen. In den meisten Offroad-Situationen kann der Boden aber keine nennenswerten Schwerkräfte übertragen (Schlamm, Sand), und ein grobes Profil verschlimmert die Situation eher, weil es nach unten Gräbt bis eine Achse aufliegt.
Vortrieb im Gelände ist, bis auf seltene Ausnahmen, immer die Haftreibung der Räder. Wichtig ist der geringste Spurquerschnitt (Also: Reifenbreite mal Reifeninnendruck - die kleinste Zahl gewinnt!), eine gute Lastverteilung und ausreichend Sperren, je nachdem wie die Lastverteilung ist.
P.P.S: Die Idee, dass man ohne Sperren in ein Hindernis hinein fahren sollte, um dann mit Sperren rückwärts wieder hinaus zu kommen (Zur Geländeerkundung quasi) funktioniert auch nur am Schreibtisch! Wenn Räder durchdrehen, graben sie sich ein und danach ist alles Vorbei. Egal wie viele Sperren man noch einlegen kann! Die Sperren gleichen Bodenunebenheiten aus, sie geben einem keinen zusätzlichen Vortrieb! Der tolle Unimog fährt ungesperrt in den Schlamm, schaufelt zwei ordentliche Haufen hinter die beiden Hinterräder, legt dann alle Sperren ein, um die Fuhre im Rückwärtsgang mit allen Rädern bis aufs Bodenblech einzugraben. Ich lach mich Scheckig...
Wie der Boden ist, fühle ich nicht mit den Hinterrädern! Aussteigen, anschauen, anfassen!! Entscheiden: Drum herum oder durch. Bin ich allein und kann im Zweifel nicht Bergen, fällt die Entscheidung eh immer auf drumherum. Aber wenn durch, dann durch!!! Alls rein, maximales Drehmoment und bloß nicht ausgehen lassen.
Keine Sperren einlegen, weil man angst hat sich tiefer im Hindernis einzugraben?!? Nach der Logik solltet ihr unbedingt mit einem voll geladenen Anhänger im Gelände fahren: Damit bleibt ihr sofort stehen, wenn ihr auf weichen Boden kommt.