laforcetranquille hat geschrieben:Die Luft zum Reisen wird immer dünner. ...Es ist einfach nur noch zum kotzen und macht keinen Spass mehr.
Vielleicht sollten wir einen "allgemeinen Weltschmerz-Thread" eröffnen?
Die Macht daran irgendetwas zu ändern haben wir in Europa schon lange nicht mehr.
Ist mir ehrlich gesagt auch ganz recht so! Die bisherige Bilanz europäischer "Änderungen" draußen in der Welt finde ich eher ernüchternd: Kreuzzüge, Conquistadores, Kolonialisierungen, Weltkriege... Da ist die "europäische Idee" der EU die bislang noch friedlichste Innovation, die wir Europäer hinbekommen haben. Statt anderen Staaten vorzuschreiben, was sie zu tun haben (Irak, Afghanistan, Tschetschenien, Iran, ...) ist die vielgescholtene manchmal etwas unbeholfen-bürokratische EU trotz ihrer permanenten Mit-sich-selbst-Beschäftigung offenbar so attraktiv, dass immer mehr Länder _freiwillig_ dazu kommen wollen. Vielleicht erleben wir ja noch die Mittelmeer-Union als zur EU assoziierte Region, ups, dann wäre Ghadafi-Land möglicherweise selbst ein Schengen-Staat und visafrei zu bereisen...
Was soll das Gejammere, wir Europäer hätten auf der Weltbühne nichts mehr zu melden? Sollen wir Flugzeugträger und Raketentruppen aufstellen, um "unsere Interessen" jeweils vor Ort zu vertreten? Auch der "Chinese an sich" hats gern warm in der Bude und ein leckeres Reisgericht aufm Tisch, die wenigsten sind scharf auf Angriffskriege...da gehören immer zwei dazu.
Was wir grad bei der lybischen und der schweizer Staatsführung erleben, ist kindisches Gehabe. Von Ghadafi kennt man das ja schon seit Jahrzehnten. Von einem der letzten "echten" Despoten erwartet man so was fast schon. Dass sich allerdings die Regierungen in Europa auf Realsatire-Niveau begeben (der deutsch-schweizerische Steuerkrieg gehört dazu) gabs seit Helmut Kohl nicht mehr. Aber hierzulande darf eine bayrische Justizministerin ja auch ungestraft behaupten "Daten sind keine Sachen, können deshalb gar nicht gestohlen werden - ergo liegt auch keine Hehlerei vor."
Vielleicht liegts auch an unserer Ernährung, an Umweltgiften, dass die politisch-wirtschaftliche Kaste in unseren Breiten zunehmend verblödet und sich erfolgreich um die Lösung tatsächlicher Probleme drückt? Ich hoffe, dass das nur ein Generations-spezifisches Problem ist und kein grundsätzliches. Mann, jetzt werd ich auch noch depressiv
...könnte Euch so passen!
Lasst Euch das Reisen nicht vermiesen. Wenn es schon soweit kommt, dass man die Rechtfertigung für einen 4x4-Laster von der libyschen Visavergabepolitik abhängig machen muss, dann sollte man sich vielleicht hinter seine FullHD-Screen verkriechen, die BluRay-Edition von Avatar einwerfen und die blöde Wirklichkeit draußen anderen überlassen?
Als in den Neunzigern in Algerien Hundertausende im Bürgerkrieg hingemetzelt wurden, bereiste die Saharafahrerszene unbeirrt das Land weiter ("der Süden ist sicher") - politisch-sozialer Tunnelblick im egoistischen eigenen Reiseinteresse. Es wird lamentiert, dass das Kantinenessen auf der Carthage von Genua nach Tunis überteuert und dafür kalt ist, während gleichzeitig Jahr für Jahr in Gegenrichtung geschätzte Zehntausende Bootsflüchtlinge mit Kurs auf Europa jämmerlich absaufen (hab ne Bekannte, die bei FRONTEX Dienst tut, das ist nicht witzig, was da im Mittelmeer abläuft). Mit etwas "Glück" sieht man die nächtlichen Trecks der Flüchtlinge im algerisch-tunesisch-libyschen Grenzgebiet... Der geschickte Reisende parkt deshalb etwas abseits der Schmugglerpisten und labt sich am kompressorgekühlten Dosenbier, während der schwarzhäutige Flüchtling unweit davon nächtens durch die Wüste dem nassen Tod im Mittelmeer entgegentrottet. Wir blenden es halt aus und freuen uns, wenn am nächsten Morgen nur ein Wüstenfuchs seine Spuren ums Auto gezogen hat und keine Menschen....
Dass mich keiner falsch versteht: ich bin absolut fürs Reisen, egal wohin. Ich suche dann nach Möglichkeit auch den Kontakt zur Bevölkerung, versuche private freundschaftliche Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Klingt vielleicht etwas pathetisch, aber das verstehe ich unter "Völkerverständigung". Man kann auch ein Land mit "blöder Regierungsform" bereisen (auch Tunesien und Marokko sind undemokratische Polizeistaaten mit diktatorischen Zügen, wo Oppositionelle "verschwinden", wir sollten uns da nichts vormachen, die Gastfreundschaft und fast schon kriecherische Bevorzugung von uns "Devisenbringern" durch uniformierte Kräfte sollte da nicht drüber hinwegtäuschen). Nur sollte man wissen, was man tut, worauf man sich einlässt und wer die Spielregeln bestimmt. Die Menschen in solchen Ländern sind es allemal Wert.
Ich bin auch nach wie vor davon überzeugt, dass die Mehrzahl der gewalttätigen Konflikte weltweit ihre Ursache im westlichen "Kolonialismus" hat. Gelegentlich unmittelbar militärisch (Sorry Jungs, wir brauchen nunmal eure Rohstoffe/wir wollen nicht, dass ihr mit ABC-Waffenzeug rumbastelt...), meist aber eher "unabsichtlich" durch Aufdrängen unserer "kultureller Errungenschaften" mit Hilfe von marktwirtschaftlicher Globalisierung (= Verdrängung lokaler Strukturen und Rationalisierung/Jobvernichtung), Medien und Konsumideologie.
Da ist ein Abtreten von der politischen Weltbühne zugunsten einer nach Innen gerichteten Nabelschau a la EU in meinen Augen kein Fehler.
Hugh! Ich habe gesprochen, Ich gebs zu, ich bin ein Verfechter der "Europäischen Idee"...
Grüsse
Tom