Frage zu Chemie (oder Physik??)

alles, was nicht in die übrigen Technik-Kategorien passt

Moderator: Moderatoren

Antworten
Nachricht
Autor
dibbelinch
abgefahren
Beiträge: 1517
Registriert: 2014-01-10 18:53:05

Frage zu Chemie (oder Physik??)

#1 Beitrag von dibbelinch » 2021-03-26 17:31:44

Moin zusammen. Ich hab da mal eine Frage zu einem gaanz anderen Thema, weiss aber nicht, wo ich ein Forum finde, wo mir die jemand fundiert beantworten kann.

zur Einführung: Ich höre ja immer noch (sehr gerne und fast ausschliesslich) Schallplatten (Ja, diese in Vinyl gepressten MP3, davon ist die Rede!).
Und ich spiele sie seit Anbeginn der Zeiten (Also seit ca. 1979) nass ab.
Hier gibt es ein paar Infos zum Nassabspielen, da muss ich nicht so viel tippen:
http://www.hifimuseum.de/schallplatten- ... ielen.html

Entscheidend ist dabei, dass die verwendete Flüssigkeit einfach ein Gemisch aus Alkohol und Wasser ist.

Nun bin ich bei der Suche nach ein paar Details zum Nassabspielen auf ein Forum gestossen, wo ein paar merkwürdige Theorien vertreten wurden. Und am seltsamsten kam mir diese vor (Die auch in dem obigen Link vertreten wird):
Auf der Plattenoberfläche würde sich der leichtere Alkohol vom Wasser trennen und aufgrund des geringeren spezifischen Gewichts nach oben aufschwimmen und dabei den (aufgeweichten) Staub mitnehmen.

Das halte ich nun für Blödsinn. Nach dem, was ich vor Unzeiten mal in der Schule gelernt habe, ist Alkohol stark wasseranziehend. IMHo trennt sich das Gemisch nicht so einfach wieder aus eigenem Antrieb. Dann müsste man ja auch jede Whiskyflasche vor dem Einschenken erst mal schütteln (Die Whiskyliebhaber , die hier mitlesen, winden sich wohl schon. Ich kann sie förmlich leiden sehen ;-) ). Und beim Nassspielen der Platten würde sich das Gemisch nicht erst auf der Plattenoberfläche trennen, sondern schon im Reservoir des Nassspielarms, wo es jede Menge Zeit dazu hat.

Nun, was sagen jetzt die chemisch Berufenen (und Whiskyfreunde) unter den Lesern hierzu?

Gruss, Ulf
Oh Lord
please help me
to keep my big mouth shut
till I know
what I am talking about

"Weltanschauungen" stammen gemeinhin von Leuten die sich die Welt nie wirklich angeschaut haben (Die sind höchstens mit Knobelbechern an den Füssen nach Stalingrad marschiert).

Gogomobil
Schlammschipper
Beiträge: 422
Registriert: 2018-07-20 13:06:49

Re: Frage zu Chemie (oder Physik??)

#2 Beitrag von Gogomobil » 2021-03-26 19:02:55

Hallo Ulf,
Die Theorie ist absoluter Quatsch, wäre es so, könnte man gleich nur Alkohol nehmen. Wenn dann ist eher das Gegenteil der Fall, sprich obenauf ist mehr Wasser, da der Alkohol leichter und schneller aus dem dünnen Film verdampft und das Wasser sich anreichert. Aber ob das in der kurzen Zeitspanne überhaupt einen wesenlichen Effekt haben kann ist fraglich, wenn ja gäbe es bestimmt auch noch "große Theorien" ob man die Platten nass bei 5°C besser abspielt oder heiße Musike bei 25+°C besser klingt.
Kurzum Wasser und Ethanol trennen sich nicht freiwillig, da muss man schon destillieren oder Molekularsieb... nehmen sonst wäre das Schnapsbrennen nicht eine relativ junge "Wissenschaft" in der Menschheitsgeschichte, denn soo lange gibt es Hochprozentiges noch garnicht, Wein, Met,... dagegen seit Jahrtausenden. Übrigens alte Schellack-Platten, da wäre ich mit Alkohol vorsichtig. Früher hat man daraus guten Lack hergestellt, Vinyl als Kunststoff ist da entschieden robuster und in der Praxis hat es sich ja auch bewährt.

weiterhin kristallklare Klänge

Andi

dibbelinch
abgefahren
Beiträge: 1517
Registriert: 2014-01-10 18:53:05

Re: Frage zu Chemie (oder Physik??)

#3 Beitrag von dibbelinch » 2021-03-26 19:45:08

Ah, danke, wie ich mir´s dachte.

was die "kristallklaren Klänge" angeht: Daran und an die ganze Alchimie der HiFi-Jünger habe ich noch nie geglaubt. Z.B. Lautsprecherleitungen aus 99,999999% reinem Kupfer .. und auf der Platine des Verstärkers treffen die Elektronen dann auf schnödes Bergbau - Hüttenkupfer - das muss einen schönen Elektronenstau gegeben haben ;-). Aber es hatte damals immer Spass gemacht zu lesen, mit welchen blumigen Ausdrücken die Redakteure der Hifi-Zeitschriften versucht haben, astronomische Preise für relativ einfache Geräte schönzureden. Da bin ich ganz bei dem Verfasser der oben verlinkten Seiten.

Nochmal danke für die Bestätigung,
Ulf
Oh Lord
please help me
to keep my big mouth shut
till I know
what I am talking about

"Weltanschauungen" stammen gemeinhin von Leuten die sich die Welt nie wirklich angeschaut haben (Die sind höchstens mit Knobelbechern an den Füssen nach Stalingrad marschiert).

Benutzeravatar
hanomakker
abgefahren
Beiträge: 2049
Registriert: 2006-10-03 12:33:18
Wohnort: Landshut

Re: Frage zu Chemie (oder Physik??)

#4 Beitrag von hanomakker » 2021-03-26 20:29:13

Hi,

Geht es beim Alkohol / Wassergemisch eher darum, die Oberflächenspannung herabzusetzen, damit das Wasser nicht in Tropfenform auf der Rille liegt!

Wär ja irgendwie sinnlos ohne.

Ob es klangmässig was bringt, müsst ich mal den Plattenpresser in der Nachbargemeinde (ja, da presst noch einer) fragen :walkman:

Viele Grüße

Tino :rock:

: der schon viel zu lange kein Vinyl mit ner richtigen Anlage gehört hat:
Aus EISEN gegossen......... für die Ewigkeit.

Christof-NRW
Selbstlenker
Beiträge: 158
Registriert: 2020-04-22 19:55:23
Wohnort: Dortmund

Re: Frage zu Chemie (oder Physik??)

#5 Beitrag von Christof-NRW » 2021-03-26 21:54:01

Hallo Ulf

Irgendwann ist mir sowas ähnliches mal in meinem Studium über den Weg gelaufen.. Dass sich Ethanol oben auf dem Wasser absetzt ist absoluter Blödsinn, solche Geschichten über wundersame Phasentrennungen hört man leider recht oft. Schau dir mal das Phasendiagramm für ein Wasser-Ethanol-Gemisch an. Dort kann man die Zusammensetzung eines Stoffgemisches beliebiger Zusammensetzung ablesen, wenn dieses von der Flüssigphase in die Gasphase übergeht (verdampft).
Diese Diagramme sind z. B. Grundlage für die Rektifikation, also die mehrstufige Abtrennung eines Leichtsieders in einer Kolonne z.B. zur Gewinnung unseres beliebten Diesels :rock:

Dazu ist viel Energie notwendig. Wenn sich das Alkohol-Wasser-Gemisch auf der Schallplatte durch Schwerkraft trennen würde, wäre das sehr praktisch und Nobelpreis verdächtig... geht aber halt nicht :joke:

Gruß
Christof

Benutzeravatar
Willi Jung
abgefahren
Beiträge: 2058
Registriert: 2009-02-03 23:45:37
Wohnort: Mittelhessen

Re: Frage zu Chemie (oder Physik??)

#6 Beitrag von Willi Jung » 2021-03-27 11:23:18

Ich glaube auch, dass es etwas mit der Oberflächenspannung zu tun hat. Mein Onkel hatte da jahrelange Versuche unternommen.
Aqua bidest, Isopropylalkohol und ein kleiner Spritzer Spüli.
Ich hab's später bereut, damit angefangen zu haben. Die Platten konnte man nie mehr trocken hören (unerträgliches Knistern) und immer das lange abtrocknen lassen.
Vielleicht ging's ja auch nur darum beim Alkohol, dass die Platten schneller wieder trockneten. Mir hat's jedenfalls zu lange gedauert. Nach einer ausgiebigen Hörsession lagen da immer 10-20 Platten im Raum verteilt. Mal gleich was von der B-Seite hören ging gar nicht.
Liebe Grüße
Willi
Der wieder nur noch mit dem Steyr tanzt
- Steyr A 680 GL mit Hesskoffer

dibbelinch
abgefahren
Beiträge: 1517
Registriert: 2014-01-10 18:53:05

Re: Frage zu Chemie (oder Physik??)

#7 Beitrag von dibbelinch » 2021-03-27 16:24:55

Mal zur Klärung:

Zum Nassabspielen, der Wirkung, der physikalischen Funktion etc. gibt es wie immer beim Thema HiFi fast beliebig viele Theorien. Zum Teil wirklich herrliche, die die Grenzen der Naturwissenschaften mit einem Wink des kleinen Fingers ins Unendliche verschieben :-)) Wie ich ja schon angedeutet habe.

Was jetzt folgt, ist nur MEINE Meinung!

Es geht beim Nassabspielen darum, den Staub auf der Plattenoberfläche (der sich dort UNWEIGERLICH absetzt) einzuweichen, bevor die Nadel vorbeikommt. Der aufgeweichte Staub stört die Nadel beim Abtasten in der Rille anscheinend so gut wie überhaupt nicht.
Ob das nun daran lieg, dass er auf dem Flüssigkeitsfilm aufschwimmt, oder ob er durch die Flüssigkeit so aufgeweicht wird, dass die Nadel einfach drüber wegrutscht? Da kann ich nur die Schultern zucken. Richtig ist: Es funktioniert. Und: Hat man einmal nass abgespielt, kommt man in Zukunft nicht mehr drum rum. Denn nach dem Abtrocknen der Flüssigkeit ist der Staub immer noch da. Und nun richtig festgebacken (was sicher für jeden nachvollziehbar ist). Ob Plattenwaschen da hilft, kann ich mangels Erfahrung nicht beurteilen.

Zudem gibt es die Aussage, dass die Flüssigkeit als Schmiermittel dient, und so Verschleiss von LP und Nadel verringert. Ob das wirklich so ist, weiss ich nicht, aber es erscheint mir doch SEHR plausibel. Das würde auch erklären, warum nicht nur das durch den Staub verursachte Knistern und Knacken, sondern auch das Dauerrauschen beim Nassabspielen fast bis zur Unhörbarkeit verringert wird: Gewissermassen ein Auaplaning -Effekt ;-) .

Dritter Effekt soll folgender sein: Nach der Theorie erhitzt sich die Plattenoberfläche durch die Reibung an der Auflagestelle der Nadel sehr stark, und das kann, besonders in Bereichen von Hochtonschwingungen, zu wärmebedingten Verformungen des Plastiks führen. Ob das so wirklich richtig ist? Keine Ahnung, ich habe auch keine Ahnung, wie man DAs ermittelt haben will (besonders mit der Technik der 60er Jahre, als Wärmebildkameras u.ä. allerhöchstens in der Science Fiction vorkamen). Aber das ist mir auch ziemlich Wumpe, weil ich meine Platten immer nass abspiele.

Die Flüssigkeit ist ein Gemisch aus Wasser und Alkohol. Haupteffekt vom Alkohol ist anscheinend, dass die Flüssigkeit schneller wieder verdunstet. Meiner Meinung nach muss man um das Mischungsverhältnis wirklich keine Doktorarbeit machen. Ich lasse mir in der Apotheke immer das 100ml-Fläschchen mit 90 (+x) %igem Alkohol füllen. Das kommt in die originale 250ml-Lenco-Vorratsflasche, die ich seit 40 Jahren habe. Und der Rest der Luft wird mit destilliertem Wasser aus dieser Flasche vertrieben.

Dazu kommt bei mir noch der berühmte Spritzer Spüli. Da sagen wiederum manche, dass der dort nicht reingehört. Dazu kann ich nur sagen: ich stelle keinen negativen Effekt fest. Und beim Geschirrspülen merke ich, dass das Zeug den gewünschten reibungsmindernden Effekt ganz sicher unterstützt.

Die Mischung funktioniert bei mir dergestalt, dass ich eine gerade gehörte Platte offen auf dem Inlet ablege, während ich die Nächste höre. Sobald die nächste Scheibe durch ist, ist bei ihrem Vorläufer die Flüssigkeit restlos abgetrocknet (bei normaler Lufttemperatur und - feucht nach wenigern Minuten). Also nix mit 10 zum Trocknen nebeneinaderliegenden LP.

Und zu guter Letzt noch ein paar Worte zu dem immer wieder behaupteten "besseren Klang" der LP. gegenüber CD oder MP3.
In Blindhörtests konnte das NIE belegt werden. Und widerspricht auch allen physikalischen Gesetzen. Dazu kommt bei mir: In den letzten 40 Jahren hat mein Gehör doch schon ordentlich nachgelassen. Was, wie viele HiFi-Jünger absolut nicht zugeben wollen, ein völlig normaler Vorgang ist: Schlicht durch Alterung, durch Lärmschäden, und (bei mir insbesondere) durch einige Mittelohrentzündungen. Was solls? Ich habe gerade, während ich das hier tippe, Ronnie James Dios "Rainbow" laufen, wippe dabei mit dem Fuss und erinnere mich an selige Jugendjahre... :walkman: Und da klingt auch schon ein ganz wichtiger Grund durch, warum ICH immer noch LP´s höre!

Coronagelangweilte Grüsse an Alle,
Ulf
Oh Lord
please help me
to keep my big mouth shut
till I know
what I am talking about

"Weltanschauungen" stammen gemeinhin von Leuten die sich die Welt nie wirklich angeschaut haben (Die sind höchstens mit Knobelbechern an den Füssen nach Stalingrad marschiert).

Benutzeravatar
Moerk
Schlammschipper
Beiträge: 452
Registriert: 2016-07-17 12:59:06
Wohnort: Mannheim

Re: Frage zu Chemie (oder Physik??)

#8 Beitrag von Moerk » 2021-03-27 16:38:46

Die Aufgabe des Alkohols in der Mischung ist es unpolare Verschmutzungen (=Fett) zu lösen.

Deshalb wird auch nicht Ethanol (was ihr trinkt), sondern Iso-Propanol (eigentlich 2-Propanol) verwendet. Dieser hat eine polare Seite (OH-Gruppe) und und eine unpolare Seite (die beiden Methyl-Gruppen) und kann so prima zwischen Wasser und dem Dreck vermitteln.
Schritt 1: Feuerwehrauto gekauft - Erledigt
Schritt 2: Feuerwehrauto umgerüstet und zugelassen - Erledigt
Schritt 3: Feuerwehrkoffer ausgetauscht - Erledigt
Schritt 4: Innenausbau Koffer
Schritt 5: Innenausbau DoKa
Schritt 6 ...

Benutzeravatar
Willi Jung
abgefahren
Beiträge: 2058
Registriert: 2009-02-03 23:45:37
Wohnort: Mittelhessen

Re: Frage zu Chemie (oder Physik??)

#9 Beitrag von Willi Jung » 2021-03-27 17:20:47

Die beiden letzten Beiträge hören sich doch vergleichsweise fundiert und plausibel an.
Das mit der Reibung und Wärme kann ich mir schon auch vorstellen. Schaut euch Mal ein Mikroskopie Bild von einer Nadel in der Plattenrille an. Da grenzt es für mich schon an ein Wunder, dass so ein gewellter Canjon ausreicht, um so detaillierte Klanginformationen und dann auch noch in Stereo abzuliefern. Und für das ganze reicht ein gepresstes Stück Plastik.
Liebe Grüße
Willi
Der wieder nur noch mit dem Steyr tanzt
- Steyr A 680 GL mit Hesskoffer

Antworten