Achsschaden HL3 (Kurzhauber 710)

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Walöter
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Achsschaden HL3 (Kurzhauber 710)

#1 Beitrag von Walöter » 2021-03-13 13:30:29

Hallo Forum,

kürzlich erhielt ich eine Anfrage ob ich mit einem Radsatz für die HL3 Hinterachse eines 710ers weiter helfen könne. Das Tellerrad hätte "ein paar Zähne verloren".
Die ganze Geschichte des Achsschadens möchte ich nun beschreiben.

Schadensbild

Äußerlich schien das Achsgehäuse unbeschädigt
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Nach dem Öffnen des Differentialgehäuses sah die Sache schon nicht mehr so gut aus
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Der Ausbau des Antriebskegelrades offenbarte dann den Schaden, langsam wurde klar dass da mehr im Argen ist:
beschädigtes Ritzelkopflager
beschädigtes Ritzelkopflager
Das Antriebskegelrad, oder was noch davon übrig war
00002115.JPG
Der Ausbau des Tellerades gestaltete sich etwas schwierig, da sich der Gleitstein hartnäckig gegen Ausbau wehrte. Unter Zuhilfenahme diverser Wärmequellen und der Ausnützung der Massenträgheit schwererer Werkzeuge kam er dann irgendwann zum Vorschein
00002121.JPG
Nun ließ sich auch das Tellerrad ausbauen und offenbarte die ganze Tragweite des Schadens:
00002128.JPG
Nun stellte sich natürlich die Frage: Wie konnte das passieren?

Schadenhergang

Das war so: Weil die Batterie zu schwach zum Starten war, ließ der Besitzer das Auto bergab rollen, legte den zweiten Gang ein und ließ die Kupplung (wohl etwas schnell) kommen. Der Motor lief dann zwar, aber das Auto fuhr nicht mehr. Anschließend wurde das Auto nach Ausbau der Kardanwelle VTG-HA nur wenige 100 Meter auf den Hof einer (Vertrags-) Werkstatt geschleppt. Das Öl wurde aus dem Differential abgelassen und der Deckel aufgemacht. Radsatz -> am Tellerrad fehlen Zähne. Zu diesem Zeitpunkt kam dann die Frage an mich, ob ich da weiter helfen könne.
Nach viel Recherchearbeit (Danke wieder mal an Pirx) konnte ein Radsatz einer AL3-Achse ermittelt werden, der wahrscheinlich passen müsste.

Ursachenforschung

Das vorgefundene Schadensbild wollte zumindest in meinem Kopf nicht mit dem beschriebenen Schadenhergang zusammen passen: Da hätten vorher andere Bauteile (Steckachsen, Kardanwelle...) den Geist aufgeben müssen. Da musste noch etwas anderes im Argen gewesen sein. Die Untersuchung der ausgebauten Teile brachte dann Licht ins Dunkel:

Schadenursache

Ein Gewindering zum Einstellen des Tellerrades war deutlich beschädigt:
00002136.JPG
Versursacht wurde diese Beschädigung durch falsche Montage des Gewinderinges: Es ist schwierig, den Gewindering so zu montieren, dass er auch bei angezogenen Lagerböcken noch einwandfrei läuft.
Hintergrund: Der Gewindering läuft hinten im Gewinde des Achsgehäuses. Vorne ist das Gewinde im Lagerbock. Bei der Montage kann es leicht passieren, dass der Gewindering hinten in einem anderen Gewindegang als vorne läuft. Er lässt sich dann trotzdem drehen, das Einstellen des Radsatzes ist also einwandfrei möglich. Erst beim Festziehen der Lagerböcke lässt sich der Ring dann nicht mehr drehen. Das kann, muss aber nicht jedem auffallen.
Wenn der Ring nun aber nicht sauber in den Gewindegängen sitz, kann er bei plötzlich auftretender hoher Belastung um einen halben Gewindegang nach außen gedrückt werden. Hier nahm der Schaden seinen Lauf:
Der Gewindering wird weg gedrückt -> dadurch haben die Kegelrollenlager des Tellerrades keine Vorspannung mehr -> Das Tellerrad kann pendeln -> Es wird unter der plötzlichen Belastung weg gedrückt und steht nicht mehr 90° zum Antriebsrad.
Hintergrund: Die Verbindung Kegel- und Tellerrad ist eine gleitende Verbindung (-> Schrauben- oder Schneckengetriebe). Je flacher der Winkel, desto mehr Reibung und desto schlechter das Gleiten. Irgendwann wird aus der gleitenden Verbindung eine feste Verbindung. Da sich die Bauteile aber dennoch drehen wollen (Das Fahrzeug steht ja nicht), fliegen dann eben die Zähne -> genau das ist ja passiert.
Vorwarnzeit: 0
Zeit, in der die Bauteile beschädigt werden: Sofort
Möglichkeit, das zu vermeiden: Keine

Instandsetzung
Diverse Bauteile waren beschädigt und mussten erneuert werden:
Ritzelkopflager, Rollenlager, Schrauben am Ausgleich, Gewindestift Gleitstein, Gleitstein....
Ein Problem von vielen waren die Schrauben des Ausgleichs: Die alten Schrauben waren durch aufgeschweißte Bleche gesichert. Die Schrauben wollte ich aus mehreren Gründen nicht mehr verwenden. Die neuen Schrauben sind Zahnkopfschrauben, die Sicherungsbleche können also entfallen. Allerdings habe die Zahnteller größere Durchmesser als die die alten Schrauben. Die Auflageflächen am Ausgleich nachzuarbeiten ist sehr aufwändig. Deshalb habe ich mich entschieden, die Teller der neuen Schrauben abzudrehen. Weiter kein Problem, nur dass es halt 24 Schrauben sind.....
Ausgleich mit Sicherungsblechen
Ausgleich mit Sicherungsblechen
alte und neue Schrauben
alte und neue Schrauben
00002195.JPG
Das Zerlegen und wieder Zusammensetzen des Teller- und Kegelrades entspricht den Arbeitsgängen beim Radsatztausch der AL3 Vorderachse: Achsumbau MB 911 HL 4 und AL 3
00002145.JPG
Einbau

Das Achsgehäuse hat zwar gelitten, aber es ließ sich alles wieder mehr oder weniger gut einbauen.
00002216.JPG
00002219.JPG
Im Großen und Ganzen ging alles gut aus.
Was bleibt: Es gibt viele Möglichkeiten, beim Radsatzeinbau Fehler zu machen. Das Dumme daran ist, dass man das oft gar nicht bemerkt, und sagen tut's einem auch keiner. Die Folgen können -wie man an diesem Schaden eindrücklich gesehen hat- echt fatal sein.

Walter
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Re: Achsschaden HL3 (Kurzhauber 710)

#2 Beitrag von tobi » 2021-03-13 14:00:16

Hallo Walter
wieder mal eine super Dokumentation !!
vielen dank dafür !!

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Re: Achsschaden HL3 (Kurzhauber 710)

#3 Beitrag von Dsg » 2021-03-13 18:53:12

Versursacht wurde diese Beschädigung durch falsche Montage des Gewinderinges: Es ist schwierig, den Gewindering so zu montieren, dass er auch bei angezogenen Lagerböcken noch einwandfrei läuft.
Hallo Walter,

wurde denn unmittelbar vor der Beschädigung der Gewindering demontiert?

Dsg

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Walöter
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Re: Achsschaden HL3 (Kurzhauber 710)

#4 Beitrag von Walöter » 2021-03-13 18:56:55

Dsg hat geschrieben:
2021-03-13 18:53:12
Hallo Walter,

wurde denn unmittelbar vor der Beschädigung der Gewindering demontiert?

Dsg
wie lange das her ist kann ich nicht sagen, ist aber offensichtlich schon mehrere Jahre her (nicht so lange der Besitzer dieses Fahrzeug hat). Das Differential wurde jedenfalls eindeutig schon einmal ausgebaut, weshalb ist unbekannt.

Walter
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Re: Achsschaden HL3 (Kurzhauber 710)

#5 Beitrag von Dsg » 2021-03-13 19:33:50

Das bedeutet, dass zwischen Demontage des Gewinderinges und Schaden (vermutlich) viel Zeit vergangen ist und (evtl.) viele Kilometer gemacht wurden. Nach der falschen Demontage ging es erstmal lange gut, bis dann (plötzlich) Teller- und Kegelrad nicht mehr wollten. Wieder etwas gelernt! Aber seltsam ist das schon. Warum tritt der Schaden nicht sofort, also nach der falschen Demontage des Gewinderinges auf?

Dsg

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Re: Achsschaden HL3 (Kurzhauber 710)

#6 Beitrag von Der Initiator » 2021-03-13 19:40:19

Ich schätze, deswegen
Walöter hat geschrieben:
2021-03-13 13:30:29
Wenn der Ring nun aber nicht sauber in den Gewindegängen sitz, kann er bei plötzlich auftretender hoher Belastung um einen halben Gewindegang nach außen gedrückt werden.
Der Ruck beim Anschleppen.
Es gibt nichts Gutes, außer du kannst es bezahlen.

ich nutze mittlerweile den Begriff Elektrokapitalismus statt “grüner Kapitalismus”, um nicht mehr die 1. Regel des Diskurskampfclubs zu verletzen: never reproduce enemy frames, and there ain't nuthing green about capitalism, ever (Tadzio Müller)

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Re: Achsschaden HL3 (Kurzhauber 710)

#7 Beitrag von Apfeltom » 2021-03-13 21:03:49

Perfekt Walter!
Gibt es eigentlich schon den Titel des Schraubkünstlers?
Danke :rock:
Besten Gruß
Thom

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