Afghanistan 1971

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n0by
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Afghanistan 1971

#1 Beitrag von n0by » 2010-02-25 14:40:13

Liebe Leute!

Vor bald 40 Jahren war uns schon ein VW-Bus für "riesige Reisen" gut. Mein jüngerer Bruder hatte es immerhin schon zu diesem stolzen Besitz mit seinen 22 Jahren damals gebracht. Also ging die Reise los, worüber er uns jetzt berichtet:


Eigentlich wollten wir nur eine Reise nach Jugoslawien machen, meine Freundin Gabi und ich. Die ganze Küste ging es hinunter bis Ulcinc. Dort ging es ja nicht mehr weiter am Meer, weil Albanien „im Weg“ war. Am Ortsausgang standen zwei Tramper mit unheimlich langen Haaren. Tracy aus Cleveland und Michael aus Omaha stiegen zu. Wir fuhren weiter nach Süden und erreichten Griechenland noch in der Nacht. Da stand ein Schild, Istanbul 450 Kilometer. Ich überredete Gabi, doch mal einen Fuß in den Orient zu stellen.

An der Sultan Ahmed Moschee standen dann ganz viele Hippieautos, sie kamen aus Indien, Persien, Afghanistan und hatten die tollsten Erlebnisse. Inzwischen hatten wir uns mit den beiden Amerikanern angefreundet und fassten den Entschluss, weiter gen Osten zu fahren. Wir teilten uns die Reisekosten, bei 25 Pfennig für Sprit keine große Ausgabe.

Über Ankara ging es weiter , Erzurum, Ercincan, die Straße wurde abenteuerlich mit jedem Kilometer. Der Ararat kam in Sicht, was für ein prächtiger Berg. Iran Hududu die Grenze nach Persien. Nach Teheran war es nicht weit, die Straßen wieder gut. Dann krabbelten wir die Berge vor Mesched hoch und jemand zeigte uns einen falschen Weg. Immer höher ging es hinter unserem Führer her. Plötzlich stoppte uns ein anderer Autofahrer mit Pickup. Wohin wollt ihr, fragte er uns...

Als er erfuhr, dass wir nach Mesched wollten, sprach er scharf zu dem Fahrer vor uns, der sich darauf rasch verzog.

"Ihr könnt mir glauben, ich bin Christ,"

sagte er. Ich hörte auf meinen Bauch und wir folgten jetzt ihm, erst wieder eine ganze Weile über die Sandpiste bergab, dann bogen wir irgendwo in eine andere Straße. Er hielt und bat uns zu schauen. Zwischen den Bäumen, tief unten im Tal lag die gesuchte Stadt.


Bild

Bulli und Ulli in Afghanistan 1971

In Mesched lernte ich orientalische Bürokratie kennen. Drei Tage warteten wir dort auf unsere Visa nach Afghanistan, denn da wollten wir jetzt unbedingt hin. Die erste Stadt war Herat, wo wir die Gastfreundschaft des Lehrers genossen. Er konnte etwas englisch und wir saßen fast eine Woche jeden Abend zusammen und sprachen über Gott und die Welt. Es trieb uns weiter. Am Ortsausgang stand auf einer kleinen Plattform ein zerlumpter Polizist, der uns als den einzigen Verkehr sehr heftig regulierte. Über Kandahar ging es weiter bis Kabul. Tracy und Michael wollten hier eigentlich aussteigen und weiter nach Indien ziehen, doch hatte sich Michael eine sehr üble Bronchitis zugezogen. Also hieß es nach fast fünf Monaten, schnell zurück in die Zivilisation.

In den Bergen vor Kandahar wurde das Auto immer langsamer...ich stellte die Hendrixmusik leiser und hörte die Maschine übel rappeln..dann stand der Bus. Oh je! Ein afghanischer Bus nahm uns an die Leine und zerrte uns mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Nacht.

„Mein Bruder hat eine Werkstatt“,

teilte er uns mit. Mitten in der Nacht landeten wir vor einer Lehmhütte. Werkstatt?

"Lass mich machen,"

deutete mir der Monteur und wir gingen müde ins Hotel, das Bett für ca eine DM. Am nächsten Tag traf mich der Schreck, der Motor lag in alle Teile zerlegt auf dem Lehmboden, in der Mitte die Kurbelwelle, dann nach rechts und links weiter, die Pleuel, die Kolben, Ventile, Zylinder und die Köpfe, Bleche...eben wie auf einer Zeichnung für KFZ Schlosser. Mit der Kurbelwelle auf dem Arm fuhr der gute Mann im Bus nach Kabul und war am nächsten Abend mit der geschliffenen Welle zurück, alle Ersatzteile, wie ein neues Pleuel, Lager in Original VW Kästchen fanden wir auf dem Basar.

Am dritten Tag war der Motor fertig und wir traten den Rücksturz in die Zivilisation an. Unvergesslich dieses herrliche Reiseabenteuer mit unserem gelben Bulli. Die Dias habe ich abfotografiert mit der Digicam und bitte die mangelnde Qualität zu entschuldigen. Man beachte den Fleischer aus Kabul!


Bild

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#2 Beitrag von AL28 » 2010-02-25 16:49:45

Hallo
Ich weiß noch das mein Lehrer in der vierten klasse Bilder von Afghanistan gezeigt hat , wo er mit dem Motorrad war .
So weit bin ich leider nicht gekommen , aber ich bin an Algerien dran .
Gruß
Oli

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#3 Beitrag von chrisi » 2010-02-26 2:14:47

schöner bericht. nenn doch bitten noch ein paar date. wir waren im august - september auch da. über herat kandahar, kabul bis bamian, masarelsharif und kunduz, wieder nach kabul über den kyberpass weiter nach pakistan und indie.
habe dann 1973 die tour nochmal gemacht. war ne schöne zeit. damals ging noch was.

gruß, chris

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#4 Beitrag von Reinhard710 » 2010-02-26 10:24:11

Danke für Deinen Bericht!
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Koframag
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#5 Beitrag von Koframag » 2010-02-27 17:00:26

Auch von mir ein herzliches Dankeschön
für den wundervollen Bericht :D

Grüße Frank
ALLES IST GUT :)

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Veit M
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#6 Beitrag von Veit M » 2010-02-27 17:19:21

Schöner Bericht.

Tja, damals ging wohl noch einiges, dann hat die große Politik die Gegend entdeckt und das wars dann. Die Leute da wurden noch ärmer und die Aussichten trüber. Schade, hätte gut anders laufen können ohne die Gier einiger weniger nach Macht. :cold:
Ob die jetztige Generation noch mal die Chance bekommt dahin als Touri zu reisen?

Ciao

Veit

anta
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#7 Beitrag von anta » 2010-02-28 9:39:26

Ich habe den Bericht auch gern gelesen..ich habe bis zum Putsch 1972 in Afganistan gelebt...wir sind dann zu Beginn mit dem Auto und zwei Lastern ( die beide seltsamerweise, verschwunden sind) gerade noch rechtzeitig aus dem Land heraus gekommen.
Ich bin damals dort in die deutsche Schule gegangen...und meine Erinnerungen sind ( als Kind) sehr schön an dieses Land. Irgendwann will ich nochmal nach Kabul, aber es wird sicherlich entäuschend sein so zerstörrt wie dieses Land nun ist..
Wer glaubt das Zitronenfalter Zitronen falten, glaubt auch das Volksvertreter das Volk vertreten.

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#8 Beitrag von Veit M » 2010-02-28 13:28:40

Hallo Anta,

wilkommen im Forum. Kann ich gut verstehen daß Du gerne noch mal an den Ort Deiner Kindheit zurück willst und Deine Befürchtungen kann ich gut verstehen.
Ich denke manchmal ist es besser mit einer schönen Erinnerung zu leben und das "Hier und Jetzt" zu genießen als sich falsche Hoffnungen zu machen.
Ich denke das mit den schönen Kindheitserinnerungen und der enttäuschenden Realität heute an diesen Orten kennt wohl jeder. Zum Glück dürfte es in der Regel aber nicht so schlimme Ursachen haben wie z.B. in Afganistan.
Hier ist es eher die verbaute Landschaft, die Hecktik und die Unmenge an Ver- und Geboten die einen zunehmend einschränken.

Ciao

Veit

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#9 Beitrag von n0by » 2010-03-08 10:14:17

Veit M hat geschrieben:Schöner Bericht.

Tja, damals ging wohl noch einiges, dann hat die große Politik die Gegend entdeckt und das wars dann. Die Leute da wurden noch ärmer und die Aussichten trüber. Schade, hätte gut anders laufen können ohne die Gier einiger weniger nach Macht. :cold:
Ob die jetztige Generation noch mal die Chance bekommt dahin als Touri zu reisen?

Ciao

Veit
Mein Bruder hat noch ein paar Bilder geschickt, womit der Bericht um einen zweiten Teil erweitert wurde:

http://www.n0by.de/2/rst/ulrichAfghanistan2.htm

Bild

Alle Bilder im obigen Link, viel Spass bei der Fahrt .....


Bild

in diese vielleicht noch ein wenig entspanntere Vergangenheit in Afghanistan 1971!

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#10 Beitrag von makabrios » 2010-03-08 10:44:25

anta hat geschrieben: Ich bin damals dort in die deutsche Schule gegangen...
Hallo,
Ende der 60er Jahre hatte ich einen Lehrer, der in den Auslandsschuldienst an die deutsche Schule nach Kabul gegangen ist.
In einem Brief , den er Lehrern und Schülern geschrieben hat war er voller Lob über das Land und seinem ihm zur Verfügung gestellten Haus mit 2 Haushaltshilfen, worauf zwei seiner Kollegen ihn in den großen Ferien mit einem damals neuen Westfalia T2 besucht haben.
Einer von den beiden (der Besitzer des Autos) ging dann auch für ein paar Jahre nach Kabul .

Gruß
MAK

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#11 Beitrag von karakum » 2010-03-08 13:46:26

Ein schöner Bericht. Nicht, weil er von der guten alten Zeit erzählt. Der Bericht erinnert daran, wie es hätte sein können, wenn nicht allzu Eifrige auf beiden Seiten die Kanonen und Gebetsbücher ausgepackt hätten.
Ich lebte mehrere Jahre in den benachbarten Ländern und bin auch jetzt mehrfach jährlich geschäftlich dort. Afghanistan blieb mir bislang verwehrt oder erspart.
Für mich ist das immer wieder nur Ansporn, zu reisen. Heute stornieren schon wieder Touris die Iran- Buchungen aus Angst vor dem nächsten Krieg. Was wird danach folgen? Ganz Zentralasien? Oder gleich die gesamte muslimische Welt?

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#12 Beitrag von uli.marten » 2010-03-08 19:00:44

Das war echt Klasse, immer weiter nach Osten zu fahren, nur vor den Grenzen aufgehalten um diese tollen Stempel im Pass zu holen in den Botschaften.

Wenige Jahre später sind Spediteure ermordet worden, weil sie ein Remscheider Kennzeichen hatten, da dachten die Attentäter, sie hätten es mit den Russen zu tun...

Jetzt ist es immer finsterer geworden. Die Russen haben sich die Zähne ausgebissen und der Westen rüsselt mit hightech die Gegend ab, ohne was zu entdecken, geschweige denn Osama. Hätten die bloß mich gefragt, ich hätte sie gewarnt.

Man kochte sich einen Tee in der kurzen Dämmerung am Straßenrand vor Kandahar und denkt, das weite steinige Land bis zum bergigen Horizont überblickend - es ist keiner da.
Da kocht das Teewasser und 12 Männer schauen, in der Hocke sitzend, aus einem Abstand von 30 Metern unserm Treiben zu! Wo kamen die plötzlich alle her?
Aber etwas gruselig war es damals auch schon, wenn an den Zahlstellen der Straßen Männer mit irren Vorderladern lungerten.
Oder das verschissene Klo in Kandahar, in dem Hotel, wo ein paar reichlich abgehalfterte Amerikaner mit Matte und Bart, vom Vietnamkrieg verstört der Wasserpfeife verfallen waren.
Man, what a toilet! Stuhlgang bis einen Meter vor dem Loch aufgetürmt.
Entschuldigt meine drastische Erinnerung- das Bild ist von meiner Fahrt nach Teheran mit der XS 650 mit Becker Fettkettenkasten. :-)
Ich habe das Hotel gewechselt!Bild
Zuletzt geändert von uli.marten am 2010-03-08 19:03:12, insgesamt 1-mal geändert.

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#13 Beitrag von uli.marten » 2010-03-09 23:08:20

Sorry, das letzte Moped Bild ist soooo riesig...

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