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Grundlagen: Schraubenanzugsmoment

Verfasst: 2007-03-15 23:18:03
von daily4x4
Hallo Gemeinde,

was ist hier schiefgelaufen?
Bild
Ich weiß: nach fest kommt lose, das ist nicht gemeint. :eek: :wack:

Es handelt sich hier um eine Paßschraube M10 Festigkeitsklasse 10.9
Dafür sagen mir diverse Tabellen (Tabelle 1 Tabelle 2) Anziehmomente von um die 70Nm an.

Das maximale Anziehmoment liegt bei einer 90 %-igen Ausnutzung der 0,2 %-Dehngrenze (Rp 0,2) bzw. der Streckgrenze (Rel). Das scheint mir hier wohl überschritten gewesen zu sein, die Schraube hat sich vor dem Bruch deutlich verjüngt und gelängt. :huh:

Nun gilt folgendes:
- Entscheidend für die Schraubenverbindung ist die Vorspannkraft, diese ist als solche in der Praxis aber nicht meßbar.
- Das Anziehdrehmoment ist ein m. o. W. genaues Abbild der Vorspannkraft.
Hier gehen Faktoren wie Gewindesteigung, Reibung etc. ein.

Angezogen wurde die Schraube mit Drehmomentschlüssel, das erreichte Drehmoment lag bei unter der Hälfte des o. g. Sollwerts.

Die gezeigten Paßschrauben sind nur roh, geölt zu bekommen. Zwecks Korrosionsschutz hab ich sie vor Verwendung stärker geölt.

Wie kann ich die Sicherheit erhöhen,
a) die erforderliche Vorspannkraft aufzubringen
b) eine Überschreitung der Dehn- bzw. Streckgrenze zu verhindern, die ja zwangsläufig irreversible Längungen der Schraube zur Folge hat - die Verbindung löst sich. :search:

Verfasst: 2007-03-15 23:35:05
von Bahnhofs-Emma
Hallo,

spontan zwei Gedanken:

Mit dem Anzugsdrehmoment arbeitest Du gegen zwei Dinge: Reibung und Schraube. Mit mehr Öl reduziert sich die Reibung und das Drehmoment geht in die Schraube, was Dir diese offensichtlich äüßerst krumm genommen hat.

Spontan würde ich trotzdem auch über einen Materialfehler nachdenken, aber da gibt es hier qualifiziertere Schreiber als mich... ;)

Grüße

Marcus

Verfasst: 2007-03-16 0:46:03
von Mathias
moin moin!
war die schraube neu?
es gibt ja nun passschrauben...und dehnschrauben
sollten normale schrauben überhaupt nennenswert gedehnt werden,bei der montage??
mfg: mathias

Verfasst: 2007-03-16 7:17:12
von daily4x4
Mathias hat geschrieben:war die schraube neu?
es gibt ja nun passschrauben...und dehnschrauben
Nagelneue Schraube
DIN 609 M10X32 k6 10.9
Mathias hat geschrieben:sollten normale schrauben überhaupt nennenswert gedehnt werden,bei der montage??
schon, aber nur im elastischen Bereich, um die Klemmkraft durch Vorspannung aufzubringen, die dann die Maximalbelastbarkeit der Verbindung darstellt.
Bahnhofs-Emma hat geschrieben:Mit dem Anzugsdrehmoment arbeitest Du gegen zwei Dinge: Reibung und Schraube. Mit mehr Öl reduziert sich die Reibung und das Drehmoment geht in die Schraube, was Dir diese offensichtlich äüßerst krumm genommen hat.
Reibung: Gewinde-Reibung oder Reibung der Auflageflächen? Wie verhalten die sich anteilsmäßig?
(Geölt war beides)

Wieviel Einfluß hat da Öl? Unterscheiden sich die Öle nennenswert?
Jede Menge Fragen, ich will halt nicht, daß mir mein mühsam restaurierter Rahmen auseinanderfällt ... :huh:

Verfasst: 2007-03-16 8:45:17
von Michaele532
Wieviel Einfluß hat da Öl? Unterscheiden sich die Öle nennenswert?
Jede Menge Fragen, ich will halt nicht, daß mir mein mühsam restaurierter Rahmen auseinanderfällt ... :huh:
Vielleicht dazu passend, einen Artikel von Franz Murr: (Unimurr)
http://www.unimurr.de/murr-mogs/html/schrauben.html


Gruss,
Michael

Verfasst: 2007-03-16 11:20:48
von AL28
Hallo
Das mit dem Ölen ist schon richtig .
Aber was ganz Banales , ist den Drehmomentschlüssel geprüft ?
Oder Deine Schrauben taugen nichts !!
Gruß
Oli

Verfasst: 2007-03-16 13:09:49
von Ingenieur
Hallo,

erstmal eine grundsätzliche Frage:

Mein Reyher Katalog weist unter DIN 609 Schrauben mit einer Güte 8.8 aus.

"K6" passt auch nicht. Entweder 8G oder 10K (alles alte Bezeichnungen)

Da müßte erstmal geklärt werden, welche Schraubengüte vorliegt.
Bitte mal ein Kopffoto.

10.9 Schrauben haben keine so großen platischen Verformungen, wie geschildert.
Das nährt den Verdacht auf 8.8.
Anzugsmoment M10 8.8 = 4,7 kpm (TDv 2320/013-30 Seite 26).
Macht also rund 1/3 Überlast.
Wenn man dann die Zugfestigkeit von 800 N/mm² zu 640 N/mm² 0,2 %
Dehngrenze betrachtet, bleiben eigendlich nur 20 %.
Macht also grob 10 % Last über Zugfestigkeit.
Da würde ich ja fast wetten, daß das keine 10.9 Schrauben sind.

Oben steht, daß sich die Schraube deutlich gelängt hat.
Bitte mal die abgerissene Schraube und eine neue Schraube messen.
Bruchdehnung bei 8.8 ist 12 %
Bruchdehnung bei 10.9 ist 9 %
Wieviel % Bruchdehnung hat die abgerissene Schraube ?

...

Verfasst: 2007-03-16 13:26:42
von Lutz
DIN 609 ist für Passchrauben.

Die Festigkeitsklasse findet sich in der DIN EN 20 898

Verfasst: 2007-03-16 14:08:03
von daily4x4
Schraube M10x32
Gesamtlänge neu: 37,2mm
Gesamtlänge der Teile nach Bruch: 39,3mm
(Kopfdicke: 6,4mm)

Bruchdehnung damit (bezogen auf 30mm): 7%

Kopfprägung: 10.9 F AF
(Digicam hat gerade Geist aufgegeben wg. Strommangel)

Verfasst: 2007-03-16 14:11:58
von Lutz
So, habe gerade mal in der Mittagspause in mein Tabellenwerk geschaut.
Da ist für folgendes angegeben:

Schaftschrauben (10.9; M10) angezogen mit 90% der Streckgrenze (nur bei Verschraubungen, die nicht auf Zug belastet werden) des Schraubenmaterials:
52,7Nm (mü=0,08)
61,8Nm (mü=0,10)
70,2Nm (mü=0,12)
78,1Nm (mü=0,14)

mit “mü“= Reibungskoeffizient

Das Anzugsmoment hängt von den Reibungsverhältnissen ab. Üblicherweise geht man vom mü=0,12 aus – daher auch die 70Nm.

Passrauben in 10.9 scheinen mir auch recht ungewöhnlich, denn eigentlich nimmt man die nicht für hochbelastete Schraubverbindungen. Die Teile werden üblicherweise mit Passtiften positioniert und dann mit Schaftschrauben verschraubt.

Verfasst: 2007-03-16 14:33:41
von Ingenieur
Hallo,

10.9 HV Schrauben als SLP-Verbindungen sind im Hochbau üblich.

Was mir noch Sorge macht, ist die kurze Schraubenlänge.
Das hatten wir vor ca. 1/2 Jahr schonmal diskutiert.
Die Dehnwege sind ja extrem klein. Einerseits könnte beim Fießen des
S355 - Grundmaterials die Vorspannung verloren gehen, andererseits führt ein
zu hohes Drehmoment schnell zum Abreißen der Schraube.

Was wäre mit einem Versuch mit einer exakten Messung der erforderlichen
Dehnlänge und Anziehen im Drehwinkelverfahren ?

Die Hersteller von Fahrzeugkranen verwenden gerne Hülsen bei hochfesten
Schrauben, um die Dehnlänge zu vergrößern.

Die Bruchdehnung darf man nicht auf die gesamte Schraubenlänge umrechnen.
Wie dick war denn das zu verbindene Material ?

...

Verfasst: 2007-03-16 14:57:05
von daily4x4
Ingenieur hat geschrieben:Wie dick war denn das zu verbindene Material ?
Fahrzeugrahmen + Anschlußplatte des Querträgers + 3x U-Scheibe = 13...14mm
Ich bezweifle aber auch, ob die Vermaßung der "zusammengesteckten" gebrochenen Teile tatsächlich die "Bruchdehnung" ergibt, da scheint mir viel zu viel Luftspalt drin zu sein.

Verfasst: 2007-03-16 15:34:24
von Ingenieur
Hallo Bernhard,

2,1 / 13,5 = 0,16

Macht also ca. 16 % Bruchdehnung (Innerhalb der Genauigkeit der gemessenen Werte).
Das ist über 9 und über 12.

Wenn das tatsächlich eine 10.9 Schraube war, war die zulässige Axialzugkraft
weit überschritten (etwa 40 %).

Fragt man sich, wo die 40 % herkommen.
Vom mü ? (Da wären wir dann bei 0,07)
Vom Drehmomentschlüssel ?

Ein Hinweis auf Seite TiV-48 von Reyher macht mich stutzig:
Zitat: "Zusätzliche Schmierung der Gewinde verändert die Reibungszahl
erheblich und führt zu unbestimmten Anziehverhältnissen".

Also bleibt eigendlich gar nichts anderes übrig, als die exakte Dehnung zu messen,
und hier das Drehwinkelverfahren anzuwenden.
Das wäre also ganz einfach:
- Fixkörper mit 13,5 mm Länge mit 11,0 mm durchbohren und anfasen.
- Doppelt geschmierte Schraube durchziehen und festdrehen, bis die Länge
stimmt (Mikrometerschraube).
- Mit dem Drehmomentschlüssel das vorhandene Drehmoment messen.
- Fertig ist der individuelle Wert (Eichung des Drehmomentschlüssels nicht nötig).

...

Verfasst: 2007-03-16 16:12:39
von Lutz
Stimmt, SLP - Schrauben, die als Nieten eingesetzt und auf Abscherung belastet werden. Daran hatte ich nicht gedacht.

Warum 3 x U-Scheibe ?
Eine U-Scheibe unter der Mutter sollte reichen. Es gibt spezielle U-Scheiben (extra dick) für Passschrauben, damit das Gewinde außerhalb der zu verschraubenden Teile liegen kann. Jede zusätzliche Trennfuge erhöht das Setzungsrisiko, welches die Vorspannkraft minimiert. Bei kurzen Schrauben besonders kritisch. Für ein toleranteres system käme die schon genannte Dehnhülse in Frage.
Ist der Passbereich der Schraube wohlmöglich zu lang und Du drehst die Mutter beim anziehen dagegen ?

Verfasst: 2007-03-16 16:27:29
von landy-karl
Es verrecken auch neue Automotoren

und der Fahrzeugführer hat da auch nichts falschgemacht

Verfasst: 2007-03-16 16:35:23
von daily4x4
Ich verwende Scheiben nach DIN 1441, die gibt's mit 11mm Innendurchmesser für die eingesetzten Schrauben, sind 2mm dick.
Hatte 2 oder 3 drin, weiß ich nicht mehr sicher.
Jedenfalls waren noch reichlich 1 Gewindegang übrig vom Ende der Mutter bis zum Beginn der Fase des Schafts.
Zitat: "Zusätzliche Schmierung der Gewinde verändert die Reibungszahl
erheblich und führt zu unbestimmten Anziehverhältnissen".
Das Gefühl hatte ich auch, jedenfalls ließ sich der Drehmomentschlüssel bis zum Abriß butterweich, auf der Hälfte seiner Länge gefaßt, drehen.
Auch die Scheiben sahen sehr gepreßt aus ...

Mich hat halt interessiert, ob sich das irgendwie quantifizieren läßt.

Anschlußfrage

Verfasst: 2007-03-26 21:32:03
von daily4x4
Lutz hat geschrieben:Ist der Passbereich der Schraube wohlmöglich zu lang und Du drehst die Mutter beim anziehen dagegen ?
Nun erzeugt ja die Vorspannkraft auch eine Dehnung, und um diese muß der Paßbereich der Schraube ja mindestens kürzer sein als die zu spannende Gesamtmaterialstärke.
Weiß jemand, wieviel das bei so 'ner 10.9 Schraube ist? :search:
Wohl weniger als die 9%, die der Ingenieur weiter oben als Bruchdehnung genannt hat?
Problem: Wenn Paßschrauben einen Sinn machen sollen, dann will ich den Paßbereich möglichst genau der Materialstärke anpassen (aber andererseits muß halt genug Reserve sein, um Festdrehen zu verhindern).