Ulf H hat geschrieben: ↑2020-05-01 13:01:19
... würdest du also den unteren Rahmen auch schon beweglich lagern? ...
Gruss Ulf
Ja, das würde ich unbedingt machen, und zwar mit einer verwindungsarmen Lagerung, die in jedem Detail genau so ist wie es Mercedes für den Anwendungsfall "Fundament für eine verwindungsfreie Lagerung" beschreibt.
Ich würde als Fundament für eine verwindungsfreie Lagerung auf keinen Fall eine Federlagerung a la Forum verwenden.
Die Federlagerung und die verwindungsarme Lagerung von Mercedes sehen auf den ersten Blick optisch und in der Funktionsweise ähnlich aus. Es gibt aber grundlegende Unterschiede in der Konstruktion und in dem späteren geometrischen Verhalten. Darauf gehe ich später noch ein.
Die verwindungsarme Lagerung von Mercedes ist in Längsrichtung steif und in Querrichtung weich.
1) Längsrichtung:
Die verwindungsarme Lagerung muss für diesen Anwendungsfall in Längsrichtung steif sein, um das Problem der Rahmenschwingungen/Rahmendurchbiegung/Punktlasten bei einer Rautenlagerung zu verhindern. Eine Rautenlagerung ist dafür anfällig. Beim Bremsen kippt der Aufbau um das Festlager herum nach vorne. Die Wippe vorne drückt dann den Rahmen nach unten und die Wippe hinten zieht den Rahmen hoch. Beim Beschleunigen dann umgekehrt. Folglich kommt es zu Rahmenschwingungen/Rahmendurchbiegung/Punktlasten. Ein in Längsrichtung steifer Zwischenrahmen verhindert das. Und zwar umso besser, je weiter die Wippen von Festlager entfernt sind (Hebelwirkung).
Daher steht in der Aufbaurichtlinie: "Die Drehlager sollten so nah wie möglich an den Montagerahmenenden positioniert sein."
Unimogfahrer kennen die Rahmenschwingungen unter dem Stichwort "Parkinson". Der Unimog ist dafür allerdings besonders anfällig, da er keinen Zwischenrahmen hat und die Wippen relativ nah beim Festlager sind.
@bachmarc: Es ist daher nicht egal, wo die Wippen (Drehlager) positioniert sind. Entgegen der weit verbreiteten Meinung müssen die beiden Dreiecke bei einer Rautenlagerung auch nicht symmetrisch sein, was man auf den Bildern in der ARL deutlich sieht.
2) Querrichtung:
Die verwindungsarme Lagerung muss für diesem Anwendungsfall in Querrichtung weich sein, um die Verwindungsfähigkeit des Fahrzeugrahmens nicht zu behindern und um der Verwindung des Fahrzeugrahmens zu folgen.
Um all das zu realisieren besteht die verwindungsarme Lagerung in Längsrichtung aus gekanteten U-Profilen und in Querrichtung aus verwindungsweichen Hut-Profilen. Als Verbindung dann ebenfalls verwindungsweiche Anschlusswinkel. Die Konstruktion entspricht also der des Fahrzeugrahmens, nur alles eine Nummer kleiner.
Das Festlager ist dann eine wirklich feste, stabile Platte genau über der Hinterachse. Das ist die beste Position des Festlagers, um eine optimale Seitenführung und Ableitung der Seitenkräfte auf die Hinterachse zu haben.
Hinter dann eine Führungslasche. Die übrige Befestigung mit Schwalben, vorne zusätzlich Tellerfedern und eine weitere Führungslasche.
Die Tellerfedern sorgen dafür, dass der Zwischenrahmen bei Verwindung vorne etwas abhebt (max. 2 cm). Die Luft dazwischen überträgt keine Kräfte, so dass der Fahrzeugrahmen und Hilfsrahmen keine gemeinsame neutrale Faser mehr haben und so das Problem der versetzten neutralen Faser eliminiert ist.
Daher mein Satz oben:
"Das Grundprinzip einer Rautenlagerung ist eine verwindungsarme Lagerung auf die dann eine verwindungsfreie Lagerung aufgesetzt wird. Nur durch die Kombination beider Lagerungen funktioniert die Rautenlagerung als Ganzes optimal und störungsfrei."
So eine zweiteilige Lagerung hat dann natürlich auch zwei Festlager. Eines zwischen dem Fahrzeugrahmen und Zwischenrahmen (Mitte). Das muss eine feste, stabile Platte über der Hinterachse sein. Darüber ein weiteres Festlager als Verbindung zwischen dem Zwischenrahmen und der eigentlichen Rautenlagerung (oben). Das muss in Längsrichtung schubfest sein und in Querrichtung einen gewissen Ausgleich erlauben. Die Halbschalen mit den Elastomeren vom Unimog haben sich hierfür bestens bewährt.
Falls man den Zwischenrahmen weg lässt, spart man etwas Gewicht, bezahlt die Gewichtsersparnis dann aber auch mit den oben genannten Problemen. Sind mir etwa 100 kg weniger nicht wert.
Weil sich die verwindungsarme Lagerung von Mercedes in Querrichtung verwindet ist sie natürlich nicht für die Aufnahme eines verwindungsempfindlichen Abbaus (z.B. Koffer) geeignet. Steht aber auch so in der ARL:
"Für Fahrzeuge mit Aufbauten, die verwindungsweich sind und verwindungsunempfindliche Ladung aufnehmen (z.B. Pritsche für Schüttgut)."
3) Federlagerung:
Um das ganze jetzt für einen verwindungsempfindlichen Abbau geeignet zu machen, muss der Grundträger zunächst in allen Richtungen steif sein. Dazu nimmt man geschlossene Hohlprofile. Das Festlager muss dann zwangsläufig ganz nach hinten wandern, sonst klemmt es sofort bei Verwindung.
Man verliert also die für die Seitenführung und für die Ableitung der Seitenkräfte optimale Position des Festlagers direkt über der Hinterachse.
Damit trotz des nun notwendigen steifen Grundträgers eine Verwindung überhaupt noch möglich ist, müssen alle übrigen Verbindungen aus überdimensionalen Federn bestehen. Vorne dann noch Führungslaschen, damit das Ganze nicht zur Seite wegrutscht.
Im Großen und Ganzen funktioniert die Federlagerung. Sie erfüllt ihren Zweck. Die Erwartungen an den Fahrkomfort und die maximal mögliche Geschwindigkeit auf schlechten Wegen dürfen aber nicht allzu hoch sein. Dazu kann Ulf was sagen.
Crash verhalten und Fahrverhalten in Situationen, wo sich das ganze Aufschaukeln kann (abrupter Spurwechsel, mehrere lange Bodenwellen in ungünstigem Verhältnis zum Radstand bei erhöhtem Tempo) lasse ich mal außen vor. Wie oben schon mal gesagt sitzt die Federlagerung dafür einfach viel zu locker auf dem Rahmen.
Viele Grüße
Burkhard