Reparatur Differentialschaden

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Till
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Reparatur Differentialschaden

#1 Beitrag von Till » 2017-10-02 19:17:30

Hallo Forum!

Nach meinem Hilferuf vor eineinhalb Wochen (http://www.allrad-lkw-gemeinschaft.de/p ... 17&t=77200) hat sich der entstandene Schaden gezeigt: Differentialsperre komplett zerstört, nur leichte Spuren am Differential. Entscheidung nach Begutachtung: Reparieren ist die kostengünstigste Variante.

Ich fange mal vor vorne an:
Nach meinem (positiven) Besuch in einer TÜV-Werkstatt macht mein LKW beim Einparken einen lauten Schlag mitten in einer starken Lenkbewegung vorwärts auf Beton bei angehobener Liftachse. Das Fahrzeug ist mit dem großen Ladekran und meinem Wohncontainer ausgeladen (24t). Für Rangierzwecke kann die Liftachse angehoben werden, dass dann 19 statt der üblichen 13t wirken kann sich jeder ausrechnen. Wie ich später feststellte war die Differentialsperre eingelegt, der Schalter leuchtete (was aber bei Tageslicht kaum zu sehen ist) aber der Warnsummer war ohne Funktion. Ich habe mich sofort aufs Schlimmste vorbereitet, wollte aber nicht auf Verdacht sofort das Differential ausbauen. Gefolgt sind: Ölwechsel und Überprüfung des außen liegenden Teils der Diff-Sperre. Keine Späne im Öl, Sperre scheint zu funktionieren. Nach einer Probefahrt ohne Geräusche waren erste Sorgen beiseite geräumt. Also Hänger dran wie immer und ab auf die AB zum nächsten Reiseziel.

Nach ca. 50km höre ich bei 85km/h ein hohes Mahlen. Sofort von der Autobahn runter, und ins anschliessende Industriegebiet abparken. Ein befreundeter LKW Mechaniker kam vorbei und hat meinen Verdacht geteilt: Diff-Sperre kaputt, Teile mahlen am Differntial. Nach langem Überlegen habe ich mich durchgerungen die 27km zu seiner Halle auf eigenen Beinen zu versuchen (er kam am Folgeabend und hat den Hänger gezogen)... und das ging (mit ca 30-40km/h) gut. Ein zuerst angefragter Abschleppdienst wollte immerhin 770€ für die kurze Strecke haben.

Vor Ort hab ich erstmal einen Differentialheber (beim Volvo F16 wiegt das gute Stück ca 350-400kg, da müssen immerhin 2200Nm vom 16l Motor durch) gebaut. Dann das Differential ausgebaut um festzustellen: keine gravierenden Schäden. Das Fahrzeug hat immerhin über 1 millionen Km runter, dafür alles super: minimalstes bzw kein Spiel, keine Riefen o.ä. in Lagern/Sitzen usw. Alle Zähne da wo sie hingehören. Nur die Differentialsperre is platt. Das war auch Anfangs meine Vermutung: es werden Bauteile mit geringerer Güte verbaut damit im Schadfall das Differential und die Steckachsen ganz bleiben.
Zuletzt geändert von Till am 2017-11-18 22:10:38, insgesamt 1-mal geändert.

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Till
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Re: Reparatur Differentialschaden

#2 Beitrag von Till » 2017-10-02 19:42:44

Ich wollte gerade Bild einfügen, aber das muss ich wohl später am PC machen, am Telefon kann ich nicht verkleinern.

Die Kaputten Teile sind:
Schaltmuffe, Mitnehmerzahnrad (Differentialseitig), Stellachse des Sperrenzylinders, Schalthebel plus Laufnasen und die Spannfeder sowie die Druckscheiben der Planeten.

Dazu kommen zur Gründlichkeit:
Dichtring Kegelrad, Sicherungssplint, eine (schon vorher gerissene) Schraube der Differentialbriden, Dichtmasse und natürlich Getriebeöl.

Volvo ruft dafür insgesamt ca 1100€ brutto auf. Das stand für mich im Vergleich zu einem gecheckten Differential mit Sperre für 2400€ in Holland und einem überholten Differential für 3500€ netto in Hamburg als Beste Lösung da.

Die Teile sind bestellt und werden Mittwoch früh geliefert und dann gleich eingebaut. Messuhren mit Stativen sind vorhanden. Was fehlt ist im Moment noch:

- Tusche zum Verifizieren des Zahnflankenspiels (wird eventl durch Kreide o.ä. ersetzt - Vorschläge?)
- Speziallehre zum Einstellen der Differentialsperre; die beiden Verzahnungen sollen auf 1.0 - 0.5mm, im ungeschalteten Zustand, angenähert werden. Hat da wer schon Erfahrungen gemacht wie man z.B. von der Steckachsenstirnseite wegmißt?

Ich halte euch auf dem laufenden. Mit den Fotos stell ich die Tage noch eine Funktionserklärung der Sperre rein, für alle denen das gerade nichts sagt.

Beste Grüße,

Till

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Re: Reparatur Differentialschaden

#3 Beitrag von Pirx » 2017-10-02 20:59:46

Till hat geschrieben:Was fehlt ist im Moment noch:

- Tusche zum Verifizieren des Zahnflankenspiels (wird eventl durch Kreide o.ä. ersetzt - Vorschläge?)
Hallo Till!

Tuschierpaste habe ich nach langer vergeblicher Suche hier in der Umgebung einfach bei ebay bestellt, war 2 Tage später im Briefkasten.

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Re: Reparatur Differentialschaden

#4 Beitrag von Till » 2017-10-02 21:07:14

Danke für den Tip Pirx... leider hab ich zu spät dran gedacht. Hab die heute auch schon auf Ebay gefunden. Mit dem Feiertag dazwischen wirds nichts bis Mittwoch früh. Wir werden wohl was improvisieren.

Beste Grüße,

Till

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Re: Reparatur Differentialschaden

#5 Beitrag von Pirx » 2017-10-02 21:25:20

Angeblich geht auch ein Klecks Fett, das habe ich aber nicht selbst ausprobiert.

Mit Tuschierpaste geht es sicher am besten, sieht dann so aus (Tragbild ist je nach Verzahnung unterschiedlich, bei mir eine recht exotische Gleason-Duplex):

Bild

http://www.allrad-lkw-gemeinschaft.de/p ... 73#p484673

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Re: Reparatur Differentialschaden

#6 Beitrag von Till » 2017-10-02 21:42:08

Vielleicht ne simple Ölfarbe... oh... ich glaub ich hab da was aus dem Zeichenbedarf... :joke:

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Re: Reparatur Differentialschaden

#7 Beitrag von Till » 2017-11-18 12:56:03

Hallo Forum!

wie es so immer ist findet sich selten die Zeit mal einen ordentlichen Bericht zu schreiben. Zum besseren Verständnis der Interessierten hier ein paar Links von Explosionszeichnungen:

https://avspare.com/catalog/volvo/f12/v ... 404600150/

Damit das Lasterchen möglichst schnell wieder unterwegs ist, hatte ich nicht die Zeit auf die Bestellung der Tuschierpaste zu warten. Pirx Tipp hat mich auf die Idee mit Acrylfarbe gebracht. Als Zeichner hat man sowas natürlich mit sich dabei...

Nachdem das Differential wieder zusammengebaut war, haben wir mit der Acrylpaste das Tragbild kontrolliert und waren nach drei Stellpositionen über die Stellmuttern der Lager zufrieden. Die Position des Kegelrades, die über Distanzscheiben zwischen dem Kegelradsitz und der Differentialgehäuse eingestellt wird, haben wir vom orginalen Zustand übernommen.

Das Problem mit dem Einstellen der Differentialsperre haben wir progressiv durch learning-by-doing geregelt. Leider lässt sich auf dem Link die genaue Funktionsweise nicht genau erkennen. Die Schaltmuffe läuft auf einer Außenverzahnung auf der rechten Steckachse. Die Schaltgabel läuft mit Gleitsteinen in einer Nut der Schaltmuffe wird von einem Außen aufgebautem Druckluftzylinder in die Sperr-Stellung gedrückt. Eine starke Feder holt den Zylinder bei Entlüftung wieder zurück. Dazu gibt es noch einen Fühler, der über die obere Nase der Schaltgabel die Position ans Fahrerhaus weitergibt. Er ist mit einem Gewinde von Außen in das Differentialgehäuse eingeschraubt.
Volvo hatte mir netterweise einen verfügbaren Auszug aus dem Werkstatthandbuch zum Einstellen der Sperre überlassen. Allerdings wird dazu eine Speziallehre verwendet, die Volvo vor ca. 15 Jahren abgestoßen hat. Witzigerweise hatten sie noch den Kontakt zum Unternehmer, der ein Volvo-Sammler ist, der das ganze Spezialwerkzeug aufgekauft hat. Nur leider ist der Herr stark dement und der Werkstattmeister seiner Spedition war gerade im Urlaub... also doch improvisieren.

Entscheidend war die Information, dass das Schaltspiel 0,5-1mm betragen sollte. Im eingebauten Zustand haben wir also beim Drehen des rechten Rades und gleichzeitigen Stellen des Druckluftzylinders (der über ein Doppelgewinde mit Stoppmutter dazu verfügt) den Schaltmoment angenähert. Wichtig war dazu noch, dass der Fühler zuverlässig die Schaltinformation in Fahrerhaus weitergibt (also zum richtigen Moment das richtige Signal sendet), damit der Fahrer bescheid weiß, ob die Sperre eingelegt ist oder nicht.

Für die ganze Operation hatte ich mir einen improvierten Getriebeheber gebaut. Sonst wäre das vorsichtige Rausziehen und Reinfahren nicht möglich gewesen. Das gute Stück wiegt beim F16 immerhin um die 300-400kg.

Vielleicht hilft der Bericht dem ein oder anderen bei seinen Problematiken, graveierende Differential- und Getriebeschäden sind auf jeden Fall sehr unangenehm (wenn man sie auf der Strecke bemerkt). Also Euch allen gute Fahrt und immer schön die Sperre nach Betrieb ausschalten und das Ölniveau regelmäßig kontrollieren!

beste Grüße,

Till
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Die einzigsten Spuren des Rucks beim Bruch der Schaltmuffe
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Re: Reparatur Differentialschaden

#8 Beitrag von Till » 2017-11-18 13:03:02

Das mit mehreren Bildern hat erst beim zweiten Anlauf geklappt... :hacker:

Die Laufflächen der Verzahnungen waren alle ziemlich gut - das gute Stück hat immerhin schon 1080000km runter! Außer den Gleitscheiben gab es keine wichtigen Schäden außerhalb der Sperre. Es ist allerdings eindeutig zu sehen, dass nach Zahnausfall und Teilebruch die Reststückchen ihr Unwesen getrieben haben. Je nach Situation ist eine Weiterfahrt zu vermeiden bzw. nur eingeschränkt möglich. Dass sich das Schadensbild in der Regel bei Fahrten nach einem Schaden verschlimmert sollte jedem/r klar sein!

beste Grüße

Till
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Im Steckachseneingang gut die neue Mitnehmerverzahnung der Planeten zu sehen.
Im Steckachseneingang gut die neue Mitnehmerverzahnung der Planeten zu sehen.
alle erneuerten Teile: Gleitscheiben Planeten (anderes Foto) Schaltmuffe, Mitnehmerverzahnung, Schaltgabel mit Gleitstein, Haltefeder, und die Stellachse des Druckluftzylinders.
alle erneuerten Teile: Gleitscheiben Planeten (anderes Foto) Schaltmuffe, Mitnehmerverzahnung, Schaltgabel mit Gleitstein, Haltefeder, und die Stellachse des Druckluftzylinders.

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Re: Reparatur Differentialschaden

#9 Beitrag von Apfeltom » 2017-11-21 8:41:36

Moin Till,
herzlichen Dank für den hochinteressanten Reparaturbericht wollt ich sagen.
Für mich, der bisher nur mit alten Käfer Differentialen am offenen Patienten
befasst war, verlieren durch dergleichen Berichte mögliche Schäden an unserm alten
Schätzchen ein wenig an Schrecken, weil eben „nur“ grösser und schwerer.
Das nützt sehr dem Mut, es anzupacken.
Erstaunlich für mich, wie locker die Schaltgabel offenbar gebrochen ist, wenn ich das richtig sehe.
Alles Gute fürs gesperrte Fahren zukünftig :happy:
Beste Grüsse von der Nordelbe
Thomas

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Re: Reparatur Differentialschaden

#10 Beitrag von Till » 2017-11-21 15:12:42

Tach Thomas,

Danke fürs Feedback, die Dimension der Teile spielte tatsächlich eine große Rolle bei der OP. Auch das Tellerrad mit Planeten war ohne Kettenzug nicht zu händeln. Technisch gibts vielleicht ein paar Kleinigkeiten die komplexer sind, dafür sind die Teile alle extrem robust (mit teils sensiblen Oberflächen).

Der größte Unterschied liegt im Schadensmoment selber. Das Riesengeschoss noch irgendwo hinzubringen war Glück. Wer komplett brach liegt könnte richtig am Arsch sein - finanziell und Stressmäßig. Ich hatte das bei einem Verteilergetriebeschaden vor ca 10 Jahren schonmal. Von Folgeschäden an anderen Aggregaten ganz abgesehen. Die Kräfte, die beim Blockieren des Antriebsstranges wirken sind einfach enorm...

Also allen gute Fahrt! :p

Till

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